Die Protagonisten des Films "Perspektive deutsche Minderheit"

Blasmusik und deutscher Volkstanz? Ein Gespräch über die Entstehung des Films "Perspektive deutsche Minderheit"

Im östlichen Europa und den Staaten der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) leben etwa eine Million Angehörige der deutschen Minderheiten. Wer sind sie? Was bewegt sie? Wie sieht ihr Leben als Minderheit aus? Diesen Fragen spürt der Dokumentarfilm "Perspektive deutsche Minderheit" nach. Acht Menschen aus Polen, Ungarn und der Slowakei erzählen hier ihre ganz persönliche Geschichte. Im Interview spricht die Regisseurin des Films Caren Braun über ihre Eindrücke während des Drehs.

ifa: Caren, wie gehst du allgemein an Filmprojekte heran? Und wie war es konkret beim Film "Perspektive deutsche Minderheit?"

Caren Braun: Bei Projekten hängt viel von den Menschen ab, mit denen man dreht. Ich erwische Leute gerne "im Tun", daher habe ich nach dem ersten Drehblock noch gesagt, wir brauchen mehr Material, wo wir die Menschen in Aktion sehen. Dann habe ich aber gemerkt, es ist schön, wenn wir das finden, aber wir brauchen es nicht unbedingt, weil die Menschen so toll erzählt haben, dass man sich darauf schon verlassen konnte.

Sie sind sich ihrer besonderen Vergangenheit und der daraus resultierenden Verantwortung sehr bewusst. Dort versucht jeder einen Kokon zu bewahren, etwas zu erhalten, was nur durch die Menschen dort vor Ort bewahrt werden kann. Das kam in den Interviews ganz stark heraus, was für mich eine sehr schöne Erfahrung war.

"Lasst doch jedem sein Stück Heimat, das er mitnimmt und behalten kann"

ifa: Wie waren deine Erwartungen bevor du die Angehörigen aus der deutschen Minderheit kennengelernt hast? Wie siehst du sie jetzt nach dem Filmdreh?

Braun: Was ich spannend fand, war die Tatsache, dass Adam, einer unserer Protagonisten, dass so ein junger Kerl Blasmusik macht. Für mich war das vorher so ein typisches Klischee: "Die deutsche Minderheit macht Blasmusik und tanzt deutsche Tänze." Ich dachte, wenn ich da hinkomme, ist das ganz anders. Oder sie machen es nur, weil sie es müssen, weil sie die Kultur erhalten müssen. Aber das Gefühl hatte ich bei ihm gar nicht, im Gegenteil, er findet das super. Die Kultur wird dort viel bewusster und viel mutiger gelebt, das war anders, als ich es erwartet hatte. Dass manche, vor allem die Älteren, dort noch die deutsche Staatsbürgerschaft haben, war mir vorher so nicht bewusst. Mich hat auch überrascht, dass tatsächlich so viel und so gut Deutsch gesprochen wird. Ich hätte gedacht, dass da viel mehr verloren gegangen ist.

Ein Gedanke, der mich seit den Dreharbeiten begleitet, bezieht sich auch auf uns hier in Deutschland. Wir freuen uns darüber, dass es in der Slowakei, in Polen, etc. Menschen gibt, die ihre deutsche Kultur und Sprache bewahrt haben. Aber wenn Menschen mit einer anderen Kultur zu uns kommen, fällt es uns viel schwerer zu akzeptieren, wenn die auch etwas davon bewahren wollen. Natürlich muss man in dem Umfeld, in dem man lebt, klarkommen, es geht nicht, sich nach außen abzuschotten. Aber das tun die deutschen Minderheiten dort ja auch nicht. Lasst doch jedem sein Stück Heimat, das er mitnimmt und behalten kann, inklusive einer Gemeinschaft. Das ist, glaube ich, das, was ich am meisten mitgenommen habe – lasst doch jedem sein Stück Heimat, ganz egal wo er ist.

"Da wird außerhalb etwas bewahrt, was wir hier oft schon verloren haben"

ifa: Gibt es etwas, dass dir von der Drehreise ganz besonders im Gedächtnis geblieben ist?  Eine Begegnung, ein Gespräch, ein Ort?

Braun: Ich fand es toll, wie jung das ganze sein kann. Ich glaube, wenn man hier in Deutschland von deutschen Minderheiten spricht, denken viele an frühere Generationen, die vor langer Zeit ausgewandert sind. Aber es hat mich beeindruckt, dass es tatsächlich auch ein junges Thema ist, das immer noch aktuell ist. Sicherlich wird es weniger und in den Vereinen gibt es auch Nachwuchssorgen. Natürlich geht auch die Identität ein Stück weit verloren, weil die Generationen sich immer mehr an ihre jetzige Umgebung angepasst haben. Aber es gibt trotzdem noch ganz viel junges Blut, Leute die etwas voranbringen wollen, die den Wert der Traditionen erkennen und diese erhalten wollen.

Das Gespräch mit Lucia Trautenberger zum Beispiel war für uns alle sehr bewegend. Sie ist ja auf der Suche nach ihren Wurzeln und möchte herausfinden, was an Deutschem in ihr steckt. Sie kann aber gar nicht mehr viel darüber erfahren, weil ihre direkten Vorfahren nicht mehr leben. Ich musste da auch an meine Großeltern denken, wie schnell man Sachen verpassen kann. Bei Lucia ist schade, dass dieses Wissen jetzt nicht nur für sie verloren ist, sondern auch für ihre Kinder.

Beeindruckend war auch der 90. Geburtstag, den wir gefilmt haben. Die Donauschwaben und das Schwäbische, das kenne ich von zu Hause. Es erscheint selbstverständlich, dass nach Deutschland zurückgekehrte Donauschwaben noch ihre Sprache haben. Aber wenn du dann irgendwo in einem kleinen Ort in Ungarn bist, dann finde ich das schon verzückend, wenn da alte Worte auftauchen, die es bei uns nicht mehr gibt.
Dort schlummert für uns noch ein Schatz. Da wird außerhalb etwas bewahrt, was wir hier oft schon verloren haben und das finde ich total schön. Ich glaube, das unterschätzt und vergisst man leicht.

"Es lassen sich noch unendlich viele Geschichten zu dem Thema erzählen."

ifa: Ihr schreibt zwar vor den Dreharbeiten ein Konzept, aber vor Ort sieht es dann oft anders aus. Wann habt ihr gemerkt, in welche Richtung sich der Film entwickelt? Was hat den Ausschlag gegeben ihn so zu erzählen?

Braun: Es hat sich entschieden, als klar war, dass wir Menschen haben, die starke Geschichten erzählen können, die eine starke Meinung haben. Außerdem war von Anfang an klar, wir haben ein Konzept aber wir schreiben kein festes Drehbuch. Wir hatten mehrere Protagonisten in verschiedenen Ländern, da war klar, dass vieles nicht planbar ist.

Es gab dann ein paar Sachen, die einfach immer wieder aufgetaucht sind, beispielsweise der Blick in die Vergangenheit. Wir wollten aber gar nicht so viel zurückschauen. Wir haben hier und jetzt diesen Schatz an Menschen, die jetzt etwas tun. Lasst uns also lieber in die Zukunft schauen und davon erzählen. Von meinem Wissenstand ausgehend, dachte ich anfangs, man braucht diese Rückblicke als Erklärung. Aber das, was die Protagonisten erzählen, funktioniert völlig ohne diesen Hintergrund. Vielleicht stellt sich der Zuschauer Fragen, ja, aber dann wird er motiviert sich genauer zu informieren.

ifa: Wenn du, rein hypothetisch, einen zweiten oder sogar dritten Teil produzieren könntest, was würdest du darin noch gerne erzählen? Welche Aspekte würdest du hervorheben?

Braun: Die Endlichkeit. Damit meine ich das dünne Eis, auf dem die Minderheiten heute stehen. Dafür müsste man die Vergangenheit ein Stück aufrollen, um nachvollziehen zu können, wie es so weit gekommen ist. Auch eine Spurensuche wäre spannend. Unser Protagonist Martin hat erzählt, dass er mit seiner Familie mal in die Nähe von Ulm gereist ist, wo ihre Vorfahren ursprünglich herkamen. Dort auf dem Friedhof die vielen Grabsteine mit seinem Familiennamen zu entdecken, hat ihn bewegt. Da würde ich gerne die Bezüge herstellen und jemanden auf dieser Spurensuche begleiten. Spannend ist ebenfalls die Frage, wie es für Familien aus den Minderheiten ist, die heute wieder in Deutschland leben und dann ihre Verwandten im Ausland besuchen. Was für Welten sind das, die dann aufeinandertreffen? Es lassen sich noch unendlich viele Geschichten zu dem Thema erzählen.


Interview von Hannah Fischer

Zum Film "Perspektive Deutsche Minderheit"

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