Kulturerbe: Vom Klima bedroht.

Podcast mit Johanna Leissner

Dürre, Überflutungen und Flächenbrände. Wir sehen die Auswirkungen der Klimakrise fast täglich in den Nachrichten. Worüber bisher aber kaum berichtet wird: wie diese Katastrophen unser materielles und immaterielles Kulturerbe beschädigen oder sogar gänzlich zerstören.

Deshalb sprechen wir in dieser Folge von "Die Kulturmittler:innen" mit Johanna Leissner. Sie arbeitet für das Fraunhofer-EU-Büro in Brüssel und forscht seit über 20 Jahren zum Erhalt des kulturellen Erbes, wobei ihr Schwerpunkt auf den Auswirkungen des Klimawandels liegt.

Im Interview erzählt sie, wie sehr die Klimakrise weltweit Kulturstätten bedroht, inwiefern auch immaterielle Kulturgüter davon betroffen sind, und welche Lösungsansätze und Strategien existieren, um Kulturerbe zu schützen. Dabei fordert sie eine stärkere Verzahnung der internationalen Kulturpolitik.

Eine Illustration zeigt eine Frau mit kurzen Haaren. Sie trägt eine Brille, eine Halskette und Ohringe. Es handelt sich um Dr. Johanna Leissner auf dem Cover des ifa-Podcasts zu Außenkulturpolitik „Die Kulturmittler:innen. Der Hintergrund ist türkisblau, darauf steht in weiß mittig oben der Titel des Podcasts und rechts unten das ifa-Logo in weiß, auf einer lila Bauchbinde ebenfalls in weiß der Name der Interviewpartnerin Johanna Leissner. Sie spricht in dieser Folge über den Erhalt von Kulturerbe in Zeiten des Klimawandels. Illustriert von Lea Dohle
Illustration: Lea Dohle

Kulturaußenpolitik hörbar machen.

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Transkript der Folge

Episode #52: Kultuerbe: Vom Klima bedroht. Mit Johanna Leissner

Amira El Ahl: Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Die Kulturmittleri:nnen, dem Podcast zur Auswärtigen Kulturpolitik. Mein Name ist Amira El Ahl, und ich freue mich sehr, dass Sie bei dieser Episode wieder mit dabei sind. Die Klimakrise ist die größte globale Bedrohung auf unserer Erde. Die enormen Auswirkungen wie Waldbrände, Dürren oder immer häufiger auftretende Extremwetter sind offensichtlich. Immer mehr Gegenden werden unbewohnbar oder sogar lebensfeindlich. Künftige Generationen werden diese Auswirkungen noch stärker spüren als wir. In dieser Folge von den Kulturmittler:innen spreche ich mit Johanna Leissner. Sie arbeitet für das Frauenhofer-EU-Büro in Brüssel. Seit über 20 Jahren forscht sie auf dem Gebiet der Erhaltung des kulturellen Erbes. Ihr Schwerpunkt sind dabei die Auswirkungen des Klimawandels. Sie ist unter anderem Gründerin der Forschungsallianz Kulturerbe und leitet das Projekt KERES vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Das KERES-Projekt forscht darüber, wie man Kulturgüter vor extremen Klimaereignissen schützen und Resilienz erhöhen kann. Heute möchte ich mit Frau Leissner darüber sprechen, wie die Klimakrise unser kulturelles Erbe beeinflusst und wie wir es der Nachwelt erhalten können. Herzlich willkommen bei die Kulturmittler:innen, Frau Leissner.

Johanna Leissner: Guten Morgen!

Amira El Ahl: Schön, dass Sie bei uns sind. Frau Leissner, Sie haben ursprünglich Chemie studiert. Wie sind Sie von der Chemie zum Kulturerbe und den Auswirkungen des Klimawandels gekommen?

Johanna Leissner: Das war ein sehr glücklicher Zufall. Das ist schon sehr lange her. Da gab es noch ein deutsches Forschungsprogramm zum Erhalt des Kulturerbes, und zwar zum Erhalt von Stein und Monumenten und zum Erhalt von mittelalterlichen Glasmalereien. In den Siebziger- und Achtzigerjahren gab es schon eine Umweltkrise und zwar der saure Regen. Und der saure Regen führt bei mittelalterlichen Glasfenstern zu Korrosion. Also die mittelalterlichen Glasfenster werden dadurch geschädigt, und da hat man mich gefragt, ob ich nicht als Chemikerin diese Prozesse genauer untersuchen will. Und so kam ich überhaupt zum Kulturerbe. Von der Umwelteinwirkung saurer Regen zum Klimawandel, höhere Temperaturen, die der Klimawandel beinhaltet, war es nur noch ein kleiner Schritt.

Amira El Ahl: Sehr interessant, da denkt man gar nicht drüber nach, dass das dann alles miteinander verzahnt ist. Die Folgen des Klimawandels sind ja auch wirklich weltweit sichtbar. Frau Leissner, die großen Waldbrände in Kanada vor wenigen Wochen sind nur ein Beispiel von ganz vielen, oder die immer weiter im Meer versinkende Insel Tuvalu, aber auch regionale Katastrophen wie die Flut im Ahrtal 2021. Meist reden wir hier von Lebensräumen, die zerstört werden. Aber welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf Kulturgüter und Denkmäler? Wo Sie gerade schon von saurem Regen sprachen, was bedeutet das für unsere Kulturdenkmäler, dieser Klimawandel?

Johanna Leissner: Über Klima sprechen wir ja in der Forschung. Das sind 30 Jahre gemittelt, alle Wettereinflüsse, die wir sehen. Das Wetter und die Umwelt haben einen enormen Einfluss, nicht nur auf uns Menschen, sondern natürlich auf alles Gebaute und auch auf die Natur. Das heißt, das Wetter in einem dreißigjährigen Zeitraum ist das Klima, und das hat Einwirkungen, seien es die Pflanzen in den historischen Gärten oder auch die Fassaden von Gebäuden, die werden vom Klimawandel sehr beeinflusst und zum Teil geschädigt. Das kann der Schlagregen sein, das kann der Schlagregen zusammen mit Schadstoffen sein, das können die höheren Temperaturen sein, das können stärkere Windereignisse sein, und das kann auch der Meeresspiegelanstieg sein.

Amira El Ahl: Und welche Kulturdenkmäler sind besonders betroffen, nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit?

Johanna Leissner: Wir sind uns einig, dass alle Kulturgüter und alle Denkmäler betroffen sind. In welchem Ausmaß? Das hängt natürlich davon ab, wo genau die Kulturgüter und Denkmäler stehen, wenn Sie an die Kulturgüter denken in vielen Ländern, die eine Küstenlinie haben, da sind sie in erster Linie natürlich vom Meeresspiegelanstieg betroffen. Aber auch langanhaltender Regen. Sintflutartige Regenfälle haben Auswirkungen, weil sie die Fassaden durchtränken, und dann gibt es sozusagen Feuchtigkeit, die aufsteigt, aber sich auch auf die Innenräume auswirkt. Auch das Innenraumklima wirkt sich durch den Klimawandel aus. Es wird feuchter, es wird wärmer. Was müssen wir da tun? Alle diese Faktoren, Temperatur und Luftfeuchtigkeit zusammen, haben einen schädigenden Einfluss, weil wir zu viel stärkeren Fluktuationen kommen, und das sind dann chemische Reaktionen, die sich wiederum in mechanischen Problemen auswirken. Wenn Sie zum Beispiel einen Kunstgegenstand haben, der mit einer Vergoldung ist, ein Holzrahmen, eines Gemäldes und dann haben Sie Schwankungen in der Temperatur und Feuchtigkeit, dann arbeiten diese unterschiedlichen Materialien gegeneinander, und es kommt zum Beispiel zu Abplatzungen. Das sind jetzt die kleineren Auswirkungen, die aber in der Fläche eine enorme Bedrohung darstellen, weil wir es uns nicht leisten können, ständig zu renovieren und zu restaurieren.

Amira El Ahl: Aber die unterschiedlichen Regionen der Welt haben wahrscheinlich mit ganz unterschiedlichen Problemen zu kämpfen. Wir haben jetzt vielleicht mehr mit Feuchtigkeit zu tun. In anderen Regionen gibt es vielleicht mehr Hitze, da werden vielleicht ganze Regionen zu Wüsten. Welche unterschiedlichen Herausforderungen gibt es für Denkmäler in den verschiedenen Regionen, und was kann man tun, um diesen Herausforderungen zu begegnen?

Johanna Leissner: Wir hatten gestern Abend eine Veranstaltung auf dem Barockschloss Rammenau in Sachsen, zusammen mit der Konrad-Adenauer-Stiftung und mit den Schlössern und Gärten in Sachsen. Das größte Problem, was in den historischen Gärten zurzeit in Deutschland wahrgenommen wird, das ist das Wassermanagement. Es ist die Trockenheit. Diese Trockenheit spielt nicht nur in Deutschland eine große Rolle, sondern auch in anderen Ländern. Am Tag vorher war ich eingeladen zu einer Online-Konferenz in Marokko, und da ging es auch um diese Themen – Meeresspiegelanstieg und Wassermanagement, Trockenheit. Das hat enorme Auswirkungen. Diese Phänomene der längeren Trockenperioden, geballt mit Hitze, die sehen wir in allen Teilen der Erde. Ich denke, da gibt es gar nicht so großartige Unterschiede.

Amira El Ahl: Und ist denn die Gefahr für die Kultur und die Kulturdenkmäler schon im Bewusstsein der Gesellschaft angekommen, oder glauben Sie, dass das noch sehr weit weg ist bei den meisten Leuten?

Johanna Leissner: In den letzten Jahren, wo auch in Deutschland der Klimawandel so evident ist, hat sich doch einiges getan, und es ist immer noch nicht genügend. Vor allen Dingen in den Medien wird sehr wenig darüber berichtet. Aber auch in der Politik, besonders in der deutschen Politik, wird hier viel zu wenig getan. Ich weiß nicht, ob es am Bewusstsein liegt, ich kann es Ihnen leider nicht erklären. In den Kulturerbe-Institutionen bereitet sich aber gerade ein großes Umdenken vor, und man sieht die enormen Auswirkungen des Klimawandels auf die historischen Gärten, Kulturlandschaften, aber auch auf das gebaute Kulturerbe. Da tut sich mittlerweile etwas.

Amira El Ahl: Aber ich glaube, in Deutschland haben wir noch gar kein nationales Forschungsprogramm zum Erhalt des Kulturerbes, oder hat sich da was geändert?

Johanna Leissner: Nein, da hat sich leider nichts geändert. Das war auch eines der Ergebnisse, die wir in der Expertengruppe, die der Rat der Europäischen Union beauftragt hat, aus den Mitgliedsstaaten, mitgenommen haben. Da haben wir festgestellt, die EU, die tut sehr viel. Es gibt dort ein Forschungsprogramm. Das reicht aber natürlich nicht für alle in Europa. Da können nur ein paar Projekte gefördert werden. Wir haben festgestellt, dass es vor allen Dingen an den Mitgliedsstaaten liegt, die hier viel zu wenig tun, und allen voran die Bundesrepublik Deutschland. Wir haben seit 1997 kein Forschungsprojekt zum Erhalt des Kulturerbes, und das wäre jetzt besonders wichtig in Zeiten der Klimakrise. Hier sind neue, innovative Lösungen gefragt, die wir gemeinsam, nicht nur mit den Kulturerbe-Experten, entwickeln wollen. Da brauchen wir noch ganz andere Expertise aus der Klimaforschung, aus der Landwirtschaft, aus der Biologie, selbst aus der Gesundheit, aus der Medizinforschung, weil das auch einen enormen Einfluss auf unsere menschliche Gesundheit hat.

Amira El Ahl: Absolut, aber man würde eigentlich denken, dass ein Umdenken in der Politik schon längst hätte stattfinden müssen. Es ist erstaunlich, dass es das in Deutschland noch nicht gibt.

Johanna Leissner: Ja, ich bin auch immer wieder erstaunt, und wir haben vielfältigste Versuche unternommen, hier was zu bewegen. Es geht viel zu langsam voran. In Deutschland kommt natürlich noch die Besonderheit dazu, dass der Bund nicht für das Kulturerbe verantwortlich ist, sondern das liegt in der Verantwortung der Länder. Die Bundesländer tun noch weniger als der Bund. Da gibt es die Kultusministerkonferenz, und da habe ich leider noch nie gehört, dass sie sich mit dem Thema Kulturerbe und Klimawandel beschäftigen. Aber auch zum Beispiel die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, auch das ist eine Institution, die sich dazu äußert und Vorsorge macht, zu Problemen, die auftreten. Auch von ihnen ist das Thema Klimawandelauswirkungen auf unser Kulturerbe noch nicht aufgenommen worden.

Amira El Ahl: Da wollen wir hoffen, dass sich das bald ändert. Diese Klimaereignisse kommen ja immer schneller und immer mehr auf uns zu. Bisher haben wir vor allem über die materielle Kultur gesprochen, vor allem über Gebäude und was für Schäden auch an Gebäuden passieren können, durch solche Klimaereignisse. Aber gibt es auch eine Gefahr für immaterielle Kulturdenkmäler, also Bräuche, Lieder oder Ähnliches? Ich denke da zum Beispiel an die Flut im Ahrtal, die vermutlich auch viele Bücher und Archive zerstört hat. Also welche Auswirkungen hat der Klimawandel und solche Ereignisse auf die soziale Identität und den Zusammenhalt einer Gesellschaft im Allgemeinen?

Johanna Leissner: Ich denke, dass das Kulturerbe eine ganz besondere Bedeutung für uns Menschen hat. Wir erinnern uns gerne an unsere Jugend, wenn wir an einem alten Gebäude vorbeigegangen sind, oder dass wir mit unseren Eltern in einem bestimmten Museum waren, wenn wir auf einem Dorf aufgewachsen sind, gab es eine alte Burgruine, all diese Dinge. Mit denen verbinden wir unsere Erinnerungen, und wie schlimm die Auswirkungen sind, wenn unser Kulturerbe zerstört wird, verlustig geht, das sehen wir unter anderem heute in dem schrecklichen Krieg, der in der Ukraine passiert. Dort wird ganz gezielt das kulturelle Erbe zerstört, um die Identität der Menschen auszulöschen, damit sie sich nicht an ihr Kulturerbe erinnern können. Aber auch wir Deutschen haben leidvolle Erfahrungen gemacht. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden sehr viele Deutsche vertrieben, aus dem Sudetenland, aus Mähren, aus Schlesien. Und selbst heute noch, in der dritten Generation, beklagt man den Verlust des Kulturerbes. Oder wenn wir an andere Regionen in der Welt denken die Menschen, die auf diesen Inseln in der Südsee leben, die heute schon ganz stark vom Klimawandel bedroht sind. Es ist eine ganz große Sorge, die hier auf uns zukommt, wenn wir unser Kulturerbe verlieren.

Amira El Ahl: Was geschieht mit dem immateriellen Kulturerbe? Sie haben ja gerade angesprochen, Menschen, die auf der Flucht sind, Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, sei es durch Kriege oder durch Klimawandel. Was passiert denn dann mit dem immateriellen Kulturerbe, wenn sie aus ihrer Heimat fliehen müssen?

Johanna Leissner: Ich denke, wenn es um Liedgut oder um bestimmte Bräuche geht, die nicht daran geknüpft sind, dass man sich zusammentrifft, das kann man sicherlich mit hinüberretten in die neue Heimat. Aber vieles von unserem kulturellen immateriellen Erbe, das traditionelle Wissen, ist eingebettet in das materielle Kulturerbe. Zum Beispiel, wie haben unsere Vorfahren in den verschiedensten Regionen der Welt ihre Häuser gebaut? Wie konnten sie trotz der Energieknappheit, trotz der Ressourcenknappheit solche wunderbaren Gebäude hinstellen, die klimaangepasst und klimaneutral waren oder wie man bestimmte Stoffe webt - dieses traditionelle Wissen. All das wird natürlich verloren gehen, wenn das materielle Kulturerbe nicht mehr da ist. Und jeder von uns erinnert sich in seiner Jugend an einen bestimmten Baum, an eine bestimmte Kulturlandschaft, aber auch vielleicht an eine alte Burgruine, an ein bestimmtes Schloss oder an ein bestimmtes Gebäude, in dem wir vielleicht zur Schule gegangen sind. Damit sind unsere Erinnerungen und unsere Gefühle verbunden, und was ist, wenn das nicht mehr vorhanden ist, das ist etwas, was wir auch noch nicht genau wissen. Welche Auswirkungen hat das? Welche Schmerzen erzeugt das bei den Menschen? Wir sehen das eben auch in der dritten Generation von Vertriebenen, der Deutschen nach dem zweiten Weltkrieg oder bei den Menschen, die jetzt in dem schrecklichen Krieg der Ukraine vieles, ihre Kulturdenkmäler und Kulturinstitutionen verlieren.

Amira El Ahl: Wir haben jetzt ganz viel über die Probleme und die Herausforderungen für das kulturelle Erbe gesprochen. Ich möchte ganz gerne mit Ihnen über Lösungen sprechen. Wie können wir denn Kulturgüter schützen? In der allgemeinen öffentlichen Debatte zur Klimakrise fällt hin und wieder das Wort "Klimaanpassung". Was würden Sie sagen, bedeutet Klimaanpassung im kulturellen Kontext, und können wir auf diesem Weg etwas tun, um Kulturgüter zu schützen?

Johanna Leissner: Da sind wir noch am wenigsten weit. Wir wissen mittlerweile relativ gut, was die Probleme sind. Wir sehen die Schäden, aber was man konkret tun kann, da sind wir noch ganz am Anfang. Das hat auch damit zu tun, dass wir erst in den letzten Jahren begonnen haben, in der Forschung zu gucken, welche Maßnahmen gemacht werden können. Es fehlt uns an Forschungsmöglichkeiten. Aber die wichtigste Vorsorge oder die wichtigste Prävention ist kontinuierliche Instandhaltung, Pflege des historischen Gartens, Pflege der Gebäude, Pflege der Kunst und Kulturgüter, und dieses kontinuierliche Instandhalten ist etwas aus der Mode gekommen. Da will keiner gerne Geld ausgeben für kontinuierliche Instandhaltung. Es ist leider heute so, dass Politiker gerne ein Band durchschneiden, wenn dann wieder ein Millionenprojekt zu Ende gekommen ist oder begonnen wird, dann wartet man, bis alles kaputt ist, und dann muss man sehr viel Geld in die Hand nehmen. Aber diese kontinuierliche Instandhaltung ist eigentlich einer der besten Schutzmaßnahmen für die Klimaanpassung. Wenn es allerdings um Extremklimaereignisse geht, wie zum Beispiel die Flut im Ahrtal oder den enormen Meeresspiegelanstieg, wird es keinen Schutz geben können. Wir können keine großen Mauern bauen. Wenn so eine dramatische Flut wie im Ahrtal über uns hereinkommt, dann glaube ich, können wir das Kulturerbe nicht retten. Dann müssen wir schauen, wie wir nach der Katastrophe sofort beginnen, was noch da ist, um weitere Schäden zu vermeiden. Was wir im Ahrtal gesehen haben, wenn wir nicht sofort trocknen können, dann gibt es, innerhalb weniger Stunden Pilzbefall, und für diese Dinge, da können wir schon vorsorgen. Da gibt es auch schon gewisse Lösungen. Aber was können wir zum Beispiel tun, wenn wir langanhaltende Trockenperioden haben, wenn uns in den historischen Gärten die Bäume wegsterben, wenn uns zum Beispiel die Fundamente eines Gebäudes durch die Trockenheit, durch die Risse im Erdboden, wenn die Fundamente absinken? Was kann man da tun. Das sind alles Dinge, die wir gerade erst beginnen, in ihrem ganzen Ausmaß zu verstehen und die Maßnahmen zu entwickeln, und dazu müssen wir die Experten zusammenbringen aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen. Nicht nur Kulturerbe, nicht nur die Restauratoren und Konservatoren, da brauchen wir die Architekten, da brauchen wir die Ingenieure, da brauchen wir die Biologen, die Gärtner, sogar Mediziner.

Amira El Ahl: Da würde ich ganz gerne mal nachhaken, Sie sagen, da müssen ganz viele Leute zusammenkommen aus unterschiedlichen Disziplinen. Die müssten dann wahrscheinlich nicht nur national zusammengeholt werden, sondern auch international, weil das ein internationales Problem ist. Also, wie sehr muss diese Bewahrung des kulturellen Erbes auf einer internationalen Ebene geschehen, und wird das Thema ausreichend oder überhaupt in der Klimaaußenpolitik der Länder widergespiegelt und auch ernst genommen?

Johanna Leissner: Hier hat unsere EU-Expertengruppe der Mitgliedsstaaten einen ersten Anfang gemacht. Das war der politische Auftrag, den wir vom Kulturausschuss des Rats der Europäischen Union bekommen haben. Da haben mir die verschiedenen Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Ländern der EU gesagt, das war fantastisch, dass wir uns auf EU-Ebene zusammenfinden konnten und uns austauschen konnten. Wir haben zwei Jahre zusammengearbeitet, nach Lösungsmöglichkeiten gesucht, und wir konnten da schlussendlich auch 83 gute Praxisbeispiele sammeln. Das ist das eine in Europa, dann muss auch sehr viel mehr auf internationaler Ebene passieren. Da hat sich bisher nicht so viel getan, aber es beginnt. Ein Anfang war zum Beispiel vor zwei Jahren, der damalige italienische Kulturminister Dario Franceschini hat erstmals die Kulturminister der G-20-Staaten zu einem Treffen eingeladen, um sich unter anderem auch mit dem Thema Klimawandel zu beschäftigen. Internationale Organisationen wie die UNESCO oder wie ICOMOS beginnen auch schon. Aber wir brauchen trotzdem einen politischen Auftrag, und hier hat mich vor einigen Wochen auch ein Anruf aus den Vereinigten Staaten erreicht, aus dem State Department. Bei denen sind die Probleme noch wesentlich gravierender als bei uns in Europa. Das werden wir erst in zehn, 15 Jahren sehen, was die Amerikaner heute schon sehen, und hier wäre es wunderbar, wenn wir einen Austausch hätten zwischen dem amerikanischen Kontinent, dem europäischen Kontinent und mit den anderen Kontinenten. Aber dafür brauchen wir diese Strukturen, um diese Expertengruppen oder diese Gruppen zusammenzubringen und in einem kontinuierlichen Austausch zu bleiben. Wir sitzen alle im gleichen Boot, und es ist an der Zeit, auch die internationale Kulturpolitik viel stärker miteinander zu verzahnen.

Amira El Ahl: Das heißt, der Austausch fehlt noch ein bisschen, also gerade auch auf politischer Ebene aber was könnten denn zum Beispiel Akteure der Zivilgesellschaft tun, um zu helfen? Gibt es da vielleicht schon mehr Austausch?

Johanna Leissner: Nur mit der Zivilgesellschaft, also international, das kann ich Ihnen nicht sagen, ob es da wirklich schon einen großen Austausch gibt. Es hat Vieles stattgefunden auf den sogenannten Klimakonferenzen. Da ist auch die Zivilgesellschaft vertreten. Da gab es in den letzten beiden COP-Konferenzen auch erstmals Veranstaltungen zum Thema Klimawandelauswirkungen auf das kulturelle Erbe. Was wir aber gesehen haben in der Sammlung unserer guten Praxisbeispiele, ist, dass in vielen Ländern schon die Zivilgesellschaft mit beteiligt ist. Viel ist übertrieben, aber es ist auf jeden Fall ein Beginn vorhanden. Es ändert sich langsam etwas, aber wir brauchen viel stärker auch die Berichterstattung in den Medien. Auch hier gibt es einen enormen Bedarf, dass die Medien auch über dieses Problem und über die Lösungsmöglichkeiten mehr berichten, und deswegen herzlichen Dank an Sie, dass Sie sich dieses Themas angenommen haben.

Amira El Ahl: Sehr gerne, das ist ein sehr wichtiges Thema. Vielleicht zum Abschluss, weil Sie sagen, langsam ändert sich etwas. Sie arbeiten jetzt seit über 20 Jahren in dem Bereich des kulturellen Erbes und des Klimawandels. Was macht Ihnen denn Hoffnung, dass wir das Ruder dann doch vielleicht noch herumreißen können?

Johanna Leissner: Die Menschheit hat schon immer bewiesen, wenn sie in der dicksten Krise stecken, dass dann die kreativsten Lösungen entwickelt werden, und das gibt mir doch ein bisschen Hoffnung. Und wenn ich sehe, wenn ich mit vielen Kollegen spreche, was da für Ideen vorhanden sind, was man tun kann, das ist einfach grandios. Ich denke mir, ich bin eigentlich optimistisch, dass wir es mit allen zusammen hinbekommen. Wir sitzen alle in einem einzigen Boot auf der ganzen Welt, und dieses Bewusstsein muss befördert werden und durch politische Maßnahmen unterstützt werden. Das darf man nicht kleinreden. Wir müssen auch von der Politik gefördert werden, dass das zustande kommen kann. Dann glaube ich schon, dass wir es hinbekommen, zum einen Anpassung zu machen, und gleichzeitig, wenn wir Anpassungsmaßnahmen machen, müssen diese Maßnahmen natürlich klimaneutral sein. Wir dürfen hier nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Also, Klimaanpassung und Klimaschutz muss immer zusammen entwickelt und angebracht werden. Dann, glaube ich, kriegen wir das hin. Und wenn ich die junge Generation anschaue, was da passiert, würde ich mir wünschen, dass sie bei Fridays For Future mit Aktionen in den Museen darauf aufmerksam machen, was uns da verlustig geht. Und ich glaube, mit den jungen Menschen und den Ideen aus der Vergangenheit und den Ideen, die wir heute haben, werden wir in der in der Lage sein, uns einigermaßen gut gegen die Auswirkungen des Klimawandels zu schützen.

Amira El Ahl: Danke, das sagt Johanna Leissner, Gründerin der Forschungsallianz Kulturerbe und Vertreterin im Frauenhofer-EU-Büro in Brüssel. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Leissner, und für den dann doch etwas versöhnlichen Abschluss und den positiven Ausblick in die Zukunft. Herzlichen Dank, dass Sie heute bei uns waren!

Johanna Leissner: Ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen.

Amira El Ahl: Wenn Ihnen der Podcast gefallen hat, dann empfehlen Sie die Folge doch gerne jemandem, der sich für das Thema interessieren könnte. Wenn Sie weiter in das Thema Internationale Klimapolitik und Kultur eintauchen wollen, dann empfehle ich Ihnen, unsere Kulturmittler:innen Deep Dive Folge, die wir in zwei Wochen veröffentlichen. Dann geht es um koloniales Erbe in der Klimadebatte mit Blick auf die brasilianische Amazonasregion. Damit Sie diese Folge nicht verpassen, können Sie den Podcast abonnieren. Das geht zum Beispiel bei Amazon Music, Spotify oder Deezer. Alle bisherigen Folgen von die Kulturmittler:innen, mehr Informationen zum Institut für Auslandsbeziehungen und zur Außenkulturpolitik allgemein finden Sie auf www.ifa.de. Sollten Sie Fragen oder Hinweise zu den Kulturmittler:innen haben, dann schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an podcast(at)ifa.de. Damit verabschiede ich mich. Mein Name ist Amira El Ahl. Danke fürs Zuhören, und bis zum nächsten Mal!

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