Wie Waschmaschinen Rüstungssanktionen aushebeln.

Podcast mit Emiliia Dieniezhna

Derzeit sind über 13.000 Sanktionen gegen Russland in Kraft, einige davon seit der Krimannexion 2014. Die ukrainische Journalistin Emiliia Dieniezhna ist für die Independent Anti-Corruption Commission (NAKO), eine zivilgesellschaftliche NGO, tätig. Dort untersucht sie, wie die Sanktionen der EU, der USA und anderer westlicher Staaten von der russischen Rüstungsindustrie umgangen werden und erläutert im Podcast, was Haushaltsgeräte wie Kühlschränke und Waschmaschinen damit zu tun haben.

Neben den Schwächen der Sanktionspakete gegen Russland, spricht die Ukrainerin in dieser Kulturmittler-Episode auch über die Korruptionsbekämpfung innerhalb der Ukraine und erklärt, weshalb es neben vier Anti-Korruptionsämtern noch eine zivilgesellschaftliche NGO dafür benötigt.

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Transkript der Folge

Episode #49: Wie Waschmaschinen Rüstungssanktionen aushebeln. Mit Emiliia Dieniezhna

Amira El Ahl: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von "Die Kulturmittler", dem ifa-Podcast zur Außenkulturpolitik. Mein Name ist Amira El Ahl und ich freue mich sehr, dass Sie mit dabei sind, heute bei der fünften Folge des Ukraine-Specials hier in unserem Podcast. Schon vor Beginn des Angriffs Russlands auf die Ukraine vor einem Jahr gab es seitens der EU, den USA und anderer westlicher Länder zirka 2.500 Sanktionen gegen Russland, die vor allem nach der Annexion der Krim 2014 verhängt wurden. Im Verlauf des letzten Jahres sind weitere Sanktionspakete dazugekommen, alle mit dem Ziel, auf Russland Druck auszuüben, die Kriegsführung durch wirtschaftliche Einschränkungen zu behindern, beispielsweise im Kapitalverkehr, im Handel, Ex- und Import, aber auch durch Einreiseverbote und den Angriffskrieg zu beenden. Derzeit sind über 13.000 Sanktionen in Kraft. Unser heutiger Gast im Podcast ist Emiliia Dieniezhna. Sie arbeitet als Journalistin, aber auch für die Independent Anti-Corruption Commission in der Ukraine, kurz NAKO. Mit ihr werden wir zum einen über die Sanktionen gegen Russland sprechen, zum anderen über die Korruption in der Ukraine. Herzlich willkommen in unserem Podcast, Frau Dieniezhna!

Emiliia Dieniezhna: Hallo!

Amira El Ahl: Es ist nicht das erste Mal, dass gegen Russland Sanktionen verhängt wurden. Seit Russland 2014 die Krim annektiert hat – wir haben es gerade gehört – reagiert die EU mit Sanktionen, beispielsweise mit dem Importstopp von Rüstungsgütern, also Waffen oder Munition, nach Russland. Das ist nicht mehr erlaubt, aber bei den Waffen, die jetzt im Ukraine-Krieg von Russland verwendet werden, finden sich in den Trümmern trotzdem immer wieder europäische Bauteile, teilweise auch von der deutschen Firma Bosch. Wie kann das sein, trotz der gegen Russland verhängten Sanktionen seitens der EU seit 2014?

Emiliia Dieniezhna: Ja, leider ist es wirklich so, dass so viele Waffenkomponenten in der Ukraine gefunden werden, die in Europa hergestellt wurden. Also durch verschiedene Wege wurden diese Komponenten nach Russland geliefert und dort in den Waffen gesammelt, sozusagen. Also, das bedeutet eigentlich, mit der Hilfe von diesen Komponenten werden die ukrainische Menschen getötet.

Amira El Ahl: Aber kann das auch unter den aktuellen Sanktionen passieren? Also gibt es da immer noch Schlupflöcher?

Emiliia Dieniezhna: Ja, es gibt wieder Schlupflöcher, also einerseits sind die Sanktionen nicht perfekt. Sie sind jetzt viel stärker als vor dem Beginn des großen Russlandskrieges in 2022, und trotzdem kann noch viel gemacht werden.

Amira El Ahl: Was denn zum Beispiel? Also welche Sanktionen empfinden Sie als zielführend? Also welche haben überhaupt einen Wert?

Emiliia Dieniezhna: Einerseits ist es wichtig für die Firmen, für die Hersteller, selbst zu kontrollieren, wohin die Komponenten geliefert werden. Also nicht nur der Staat oder die EU kann das machen und praktisch implementieren, sondern auch die Firmen sollen das kontrollieren. Wir wissen, dass die westlichen Firmen die Komponenten nach Russland geliefert haben, oft mit der Erklärung, wir wussten das nicht, dass die Komponenten für Rüstungsindustrie geliefert wurden, oder wir konnten das uns nicht vorstellen. Trotzdem gibt's im internationalen Verkauf verschiedene Regeln, die Hersteller befolgen müssen, besonders wenn es um Hersteller von Dual-Use-Komponenten oder von militärischen Komponenten geht.

Amira El Ahl: Das müssen wir vielleicht kurz erklären, weil nicht jeder unbedingt weiß, was Dual-Use ist. Das sind Bauteile, die sowohl im zivilen Bereich als auch im militärischen Bereich genutzt werden können. Können Sie mir ein paar Beispiele nennen, wo diese Teile im Zivilen benutzt werden und wo im Militärischen?

Emiliia Dieniezhna: Ja, es gibt zum Beispiel viel Mikroelektronik, die in Waschmaschinen oder Mikrowellen oder im Rechner benutzt werden kann. Trotzdem kann die auch in Waffen benutzt werden, und für die Waffen ist das sehr, sehr wichtig. Es kann auch Optik sein, verschiedene Typen von Optik und Elektronik. Zum Beispiel, gibt es viele Geräte, die für die Produktion, für die Herstellung in der Automobil-Industrie verwendet werden können und gleichzeiting auch in der Rüstungsindustrie. Also es gibt militärische Automobile, und einige Geräte braucht man, um Autos herzustellen. Es gibt ganz viele ähnliche Möglichkeiten, wenn man über Sanktionen redet. Einerseits ist es wichtig, dass die Firmen, die Hersteller in Westeuropa, in Amerika, in Japan, diese Sanktionen, diese Regeln befolgen und kontrollieren. Das ist sehr wichtig. Jetzt ist es selten so. Und andererseits wäre es wirklich wichtig, und das ist jetzt eine der Prioritäten im Sanktionen-Bereich, diese Sanktionen zu koordinieren. Verschiedene Länder, zum Beispiel die USA und die europäische Union und Japan haben verschiedene Sanktionen, und wenn diese Sanktionen nicht koordiniert werden, dann kann die russische Rüstungsindustrie diese Sanktionen viel einfacher vermeiden. Also diese Koordination wäre jetzt super wichtig und würde sehr helfen, und solche Initiativen, sind schon im Gespräch, soweit ich weiß, sie werden geplant.

Amira El Ahl: Ist es in der globalisierten Welt überhaupt sinnvoll, Import- und Export-Verbote aufzustellen? Können Güter nicht einfach über Dritte ein- oder ausgeführt werden? Mal ganz abgesehen von der Koordination der westlichen Länder gibt's auch Sanktionsverweigerer, wie China zum Beispiel oder auch sogenannte neutrale Länder wie die Schweiz oder Österreich, die ja auch weiterhin in gewisser Weise aktiv in Russland sind. Also, wie sinnvoll sind denn überhaupt Import- und Export-Verbote?

Emiliia Dieniezhna: Das ist sinnvoll, das ist sehr sinnvoll. Die Hersteller müssen, besonders wenn es um diese Dual-Use-Güter oder militärische Komponenten geht, kontrollieren, wohin ihr Export geht, wohin diese Export-Komponenten geliefert würden. Die Frage ist, ob sie das machen und ob sie das wirklich richtig machen, mit viel Mühe. Mit China und mit einigen anderen Ländern gibt's immer die Möglichkeit, die Sanktionen zu vermeiden. Aber je koordinierter dieses Sanktionensystem ist, desto schwieriger wäre es für die russische Rüstungsindustrie, diese Loopholes zu benutzen. Es gibt einige Komponenten, einige westliche Komponenten, die sehr einzigartig sind und wenn die "Hauptländer" in diesem Bereich das strikt koordinieren, und wenn es ein starkes Verbot gibt, das wirklich implementiert wird, dann können die anderen analogen Geräte in der russischen Industrie einfach nicht benutzt werden. Meine Kollegen, die Analytiker, sagen, dass der russischen Rüstungsindustrie jetzt wirklich einige westliche Komponenten fehlen. Ohne dieses implementierte weitere Sanktionensystem wäre es einfach nicht möglich und wird es auch nicht möglich, Waffenproduktion zu stoppen. Obwohl es schwierig aussieht und Möglichkeiten zum vermeiden gib, ist das trotzdem die einzige logische Möglichkeit, weiter mit dem Sanktionensystem zu arbeiten.

Amira El Ahl: Ja, aber ich finde es ganz interessant, was Sie gerade sagen. Im vergangenen Sommer berichtet zum Beispiel die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit einem Beispiel, wie erfolgreich die Sanktionen inzwischen sein, und ich zitiere, sie sagte: "Das russische Militär nimmt Computerchips aus Spülmaschinen und Kühlschränken und baut sie in Kriegsgeräte ein, weil es keine Halbleiter mehr gibt". Das bedeutet aber doch auch, dass Russland offenbar immer noch eben diese Lücken findet und man diese Lücken, wie Sie gerade sagten, schließen müsste. Im Umkehrschluss darf die EU auch keine Spülmaschinen und Kühlschränke mehr an Russland liefern. Ist das sozusagen die Quintessenz daraus?

Emiliia Dieniezhna: Ja, diese Lücken gibt es. Und was noch interessant wird mit diesen Kühlschränken und Mikrowellen und so weiter: Meine Organisation NAKO hat ihren eigenen Bericht vorbereitet. Zum Beispiel haben wir iranische Drohnen untersucht, also es geht um die iranischen Drohnen, die Russland gegen die Ukraine benutzt hat und Teile dieser Drohnen wurden auf der ukrainischen Erde gefunden. Unsere Analytiker haben die Komponenten der Drohnen analysiert und viele verschiedene westliche Hersteller gefunden. Es gab viele Komponenten, die in Westeuropa produziert wurden. Was haben wir gemacht? Wir haben mit dem Wall Street Journal koordiniert und auch mit den Partnern, wie Jura-Firmen zum Beispiel, und diese Informationen wurden dann in Sanktionen von der Europäischen Union und der Sanktionspolitik der USA genutzt. Es geht zum Beispiel um das neunte Sanktionenpaket der Europäischen Union, in diesem Fall wird die Lieferung von westlichen Komponenten in den Iran viel besser kontrolliert, und das bedeutet, dass die Chance, dass diese Komponenten dann in den Iran geliefert werden und gegen das ukrainische Volk benutzt werden viel kleiner ist. Es gibt viele verschiedene Initiativen, die sich darum kümmern, zum Beispiel staatliche Organisationen, diese security services, aber auch Organisationen wie unsere, die NAKO oder RUSI, das ist ein Institut in Großbritannien. Die machen kleine Schritte, um die EU und die USA zu informieren, was passiert, welche Komponenten es in diesen russischen und iranischen Waffen gibt. Sie informieren auch die Firmen, die Unternehmen, schaut bitte mal, eure Komponenten an, sie sind in den Waffen, kontrolliert bitte besser! Bemüht euch bitte, dass es nicht wieder passiert. Das empfinde ich als die beste Variante, um etwas in dieser globalisierten Welt zu machen. Aber was noch interessant ist, ist, dass als unsere Analytiker diese Waffen, verschiedene Sorten von russischen Waffen, in der Ukraine analysierten, verstanden sie, dass diese Komponenten oft nicht von Dual-Use sind, sondern einfach nur von Civil-Use, wie Mikroelektronik. Das bedeutet auch mehr Verantwortung für die Firmen, die da selber analysieren müssen, ob diese Komponenten wirklich in den Waffen benutzt werden und was können die Firmen machen, um das zu ändern? Es geht zum Beispiel um solche Sachen, wie Supply Chain Management, also die Hersteller und die Unternehmen müssen selber kontrollieren, wer diese Mikroelektronik bekommt, ob es zum Beispiel keine Shell-Company ist, also das soll die echte Firma sein. Die wirklich diese Mikroelektronik für weitere Herstellung braucht und nicht für den weiteren Verkauf nach Russland oder in den Iran. Es ist nichts Neues. Es soll so sein in der globalisierten Welt, aber früher war es nicht so wichtig. Zumindestens konnten wir das nicht sehen, warum es so wichtig ist wie jetzt.

Amira El Ahl: Die Ukraine hat ja neben den Angriffen von außen, wenn wir jetzt mal davon wegkommen, auch während des Krieges weiterhin mit Korruption von innen zu kämpfen, und da beschäftigen Sie sich ja auch mit. Die Ukraine befindet sich momentan auf Platz 122 von 180 Plätzen im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International. In Europa ist nur Russland noch weiter hinten in der Rangliste, nämlich auf Platz 137. Wie würden Sie die Situation in der Ukraine heute einschätzen? Wie weit ist Korruption in der Ukraine wirklich verbreitet? Das ist ja auch ein Teil ihres Jobs.

Emiliia Dieniezhna: Die Frage der Korruption ist mir ganz peinlich. Ich würde gerne sehen, dass es viel weniger Korruption in meinem Land gibt, aber es gibt auch historische Gründe, wir haben das ein bisschen von der sowjetischen Union geerbt. Was für mich wirklich wichtig ist und was mich ein bisschen freut, ist, dass sich ganz viel in den letzten Jahren geändert hat. Die Ukraine vor zehn Jahren und die Ukraine jetzt sind komplett unterschiedlich. Das ist auch richtig für die Situation mit der Korruption. Wenn man diesen Transparency Index analysiert, sieht man auch diese Verbesserungen, also von Jahr zu Jahr kann man die Verbesserung nicht ganz so gut sehen. Es ist zum Beispiel einmal plus einen Punkt, einmal minus zwei Punkte oder so, aber in zehn Jahren kann man das ganz gut sehen. Es gibt die besondere Antikorruption-Infrastruktur, wie wir das nennen, es geht um Anti-Korruption, also Vermeidung, dann Antikorruptionsgericht, [...].

Amira El Ahl: Es gibt ja Antikorruptionsbehörde, die Nabu zum Beispiel, da gibt es ein öffentliches Register für Vermögenswerte. Da gibt es sehr viel, was passiert in der Ukraine und was sich offensichtlich in den letzten Jahren verbessert hat, wie Sie gesagt haben. Aber inwiefern beeinflusst denn jetzt der Krieg die Korruptionsbekämpfung in der Ukraine und die Fortschritte, die Sie gemacht haben, vor allem seit 2014?

Emiliia Dieniezhna: Es wurde schwieriger, mögliche Korruption zu sehen. Wir als NAKO haben uns bemüht, den Einkauf in der Militärindustrie, in der Rüstungsindustrie, also in Verteidigung, transparent zu machen. Die Regierung hat sich mit der Zivilgesellschaft koordiniert, um zwei tolle Gesetze zu entwickeln. Diese Gesetze sollten im Jahr 2022 implementiert werden, aber mit dem großen Krieg Russlands ist es jetzt schwieriger, diese Korruption zu monitoren. Viele Sachen, die zur Verteidigung gehören, können jetzt gegen die Ukraine benutzt werden, von Russland und russischen Spionen. Deswegen sind viele Informationen jetzt nicht mehr transparent. Und das ist eine sehr große Herausforderung. Was gut ist, ist, dass unsere Gesellschaft und besonders unsere Zivilgesellschaft ganz innovativ und flexibel ist. Und es gibt zum Beispiel Investigativjournalisten, die suchen und finden. Es gibt diese Whistleblower, also die Menschen, die etwas wichtiges wissen, und das nicht offiziell preisgeben dürfen. Aber es gibt irgendwelche Kanäle für Geheiminformationen, und wenn es irgendwelche Korruption gibt, dann wird es irgendwie veröffentlicht. Und was auch gut ist, ist, dass die Regierung bereit ist, mit der Gesellschaft zu koordinieren, und gegen diese möglichste Korruption zu kämpfen. Zum Beispiel gab es vor kurzem einen Skandal, einen großen Korruptionsskandal. Es ging um das teure Essen für die Armee, also zum Beispiel die Eier wurden zu hohen Preisen gekauft.

Amira El Ahl: Also, das waren Korruptionsvorwürfe gegen das Militär in der Nahrungsbeschaffung. Das ukrainische Verteidigungsministerium soll selbst in einem Vertrag Lebensmittellieferungen ans Militär für bis zu dreimal teurer als im Einzelhandel angesetzt haben. Das war schon ein ziemlich großer Korruptionsvorwurf gegen das Militär.

Emiliia Dieniezhna: Ja, genau in diesem Fall ging es um einen riesigen Preis. Niemand kauft so teure Eier in der Ukraine. Es kann so nicht sein, dass Eier so teuer für die Armee sind. Aber die Regierung war bereit, in dieser Situation wichtige Schritte zu machen. Das Parlament hat zum Beispiel ein neues Gesetz erlassen und dieses Gesetz erlaubt viel mehr Transparenz mit dem Verteidigungseinkauf, das ist eine ganz neue Entwicklung und ich hoffe, dass es auch weiter so geht. Was auch wünschenswert wäre, ist, dass die Regierung in dieser Situation nicht erst nach der Korruption aktiv wäre, sondern dass solche Schritte vorher eingeleitet werden. Solche Schritte müssen helfen, ein Verbrechen zu vermeiden also eine Systemarbeit wäre wünschenswert. Das ist zum Beispiel, was unsere Organisation wirklich empfiehlt.

Amira El Ahl: Das bringt mich zu der nächsten Frage, weil das ist ja ganz interessant. Sie arbeiten unter anderem für NAKO, wie schon erwähnt, also die Independent Anti-Corruption Commission. Das ist keine staatliche Antikorruptionsstelle, aber es gibt eine staatliche, und die staatliche Behörde heißt NABU, also das National Anti-Corruption Bureau Ukraine. Worin unterscheiden sich denn die beiden Organisationen und braucht es überhaupt zwei Einrichtungen mit der gleichen Zielsetzung?

Emiliia Dieniezhna: Eigentlich es geht nicht nur NABU, sondern es gibt vier verschiedene Antikorruptionsämter. Sie heißen zum Beispiel NAZK, NABU, SAP und das Antikorruptionsgericht.

Amira El Ahl: Und das ist wichtig, dass es die alle gibt, also ist das Teil des Wahlversprechens von Selenskyj gewesen, oder warum gibt es so viele?

Emiliia Dieniezhna: Es ist wichtig, dass sie alle unabhängig voneinander sind. Wenn es um die große Korruption geht, die zum Beispiel ein Top-Beamter gemacht hat. Alle diese Ämter müssen unabhängig voneinander sein und sie haben verschiedene Rollen, zum Beispiel die Korruption zu vermeiden oder die Korruption aufzudecken oder was entscheidet das Gericht?

Amira El Ahl: Das heißt, die haben alle unterschiedliche Rollen, und es ist wichtig, dass sie alle nebeneinander existieren, die staatlichen Einrichtungen genauso wie die nichtstaatlichen, also wie jetzt NAKO zum Beispiel, bei der Sie arbeiten?

Emiliia Dieniezhna: Ja, alle vier, die ich genannt habe, sind staatliche. Und NAKO ist eine kleine Nichtregierungsorganisation. Ich sage oft, dass sie wie ein großer Hund ist, ganz unabhängig und wenn etwas Gefährliches im Bereich Korruption passiert, sagt die immer "Wuff Wuff", also "Regierung sei vorsichtig, Achtung, Achtung!". Als Nichtregierungsorganisation sammeln wir auch die Erfahrung im Bereich Verteidigungskorruption. Unsere Arbeit ist systematisch. Wir analysieren, welche Gesetze fehlen, um Korruption zu vermeiden. Dann reden wir immer mit der Gesellschaft und mit der Regierung, was und warum geändert werden muss, und dann kontrollieren wir, ob diese Gesetze, wenn sie vom Parlament bewilligt wurden, dass es wirklich zum besten ist. Das ist unabhängige Kontrolle und Monitoring von dem, was bei staatlichen Ämtern passiert.

Amira El Ahl: Wie steht es denn um das Wahlversprechen des ukrainischen Präsidenten Selenskyj? Vor seiner Wahl inszeniert er sich ja nahezu als unbestechlich. Er stand für Erneuerung trotz bestehender Kontakte zu Oligarchen. Aber ist dieses Versprechen von Selenskyj eingehalten worden, oder scheitert es dann an der tatsächlichen Umständen der Politik, also jetzt eben dem Kriegszustand, wo weniger Transparenz herrscht? Und überwachen Sie das eben auch mit NAKO?

Emiliia Dieniezhna: Das ist eine wirklich schwierige Frage, weil es geht wirklich um den größten Krieg in Europa in den letzten 60 Jahren. Ich weiß nicht, wie sich eine andere Person als Präsident benehmen würde. Was hätte diese Person gemacht und anders machen können? Vor der Wahl machte NAKO ein Projekt "Sieben Fragen zum Präsidenten", und ich war die Person, die dieses Projekt genau implementiert hat. Es gab sieben Fragen, und es ging dort um die Schritte, die der Präsident machen wird, falls er gewählt wird. Und ich habe alle Präsidentschaftskandidaten gefragt. Ich hatte 16 Antworten von mehr als 40 Kandidaten, und Selenskyj hat versprochen, Korruption in der Verteidigung zu bekämpfen, und er hatte ganz konkrete Schritte vorgeschlagen. Wir waren mit diesem Programm zufrieden. Das könnte wirklich helfen. Wenn ich sage wir, meine ich die Experten und die Aktivisten, die das Thema der Korruption in der Verteidigung wirklich gut kennen. In den nächsten Jahren war die Richtung wirklich richtig. Ich kann nicht sagen, dass diese Entwicklungen linear waren, also immer nur zum besten, immer nur stabil und ohne Probleme. Nein, es wäre nicht richtig, es wäre nicht die Wahrheit. Aber die Richtung war gut, und man kann nicht erwarten, dass systemische Änderungen einfach in zwei Monaten passieren. Nein, es gibt einen sehr großen Widerstand auf verschiedenen Niveaus, aber die Richtung war wirklich gut. Jetzt, mit dem großen Krieg, wundere ich mich immer, wie mein Land bis jetzt stark ist und dass der Staat wirklich funktioniert, und dafür bin ich meiner Regierung wirklich dankbar als Ukrainerin. Ich selbst habe Selenskyj nicht als Präsident gewählt, aber ich bin sehr dankbar für seine Arbeit und ich finde diese Arbeit einzigartig. Ich hoffe, dass diese Antikorruptionsschritte nach dem Ende des Krieges noch stärker werden. Es soll so sein, weil die Gesellschaft jetzt total korruptionsintolerant ist. Wenn die Menschen für die europäischen Werte sterben und es geht um Tausende Menschen oder Dutzende von Tausenden, also es geht um einen schrecklichen Verlust, möchte die Gesellschaft keine Korruption, und ich bin ganz sicher, dass die Antikorruptionskontrolle nach dem Ende des Krieges noch stärker sein wird.

Amira El Ahl: Vielleicht zum Ende, Frau Dieniezhna, wenn man momentan so viel zu kämpfen hat mit Korruption der Ukraine auf der einen Seite, mit nicht gewünschten Effekten der Sanktionen in Russland auf der anderen Seite: Was sollte Ihrer Meinung nach der nächste Schritt seitens der Außenpolitik der EU sein?

Emiliia Dieniezhna: Ja, ich bin ganz sicher, dass die Sanktionenpolitik koordiniert und verstärkt sein soll. Das ist meine ganz objektive Meinung, was die Rüstungslieferungen betrifft. Ich als Ukrainerin würde es mir wünschen, weil es nur dann möglich ist, gegen die Korruption zu kämpfen, wenn wir unser Basis-Menschenrecht zum Leben haben. Niemand kann gegen Korruption kämpfen, wenn er tot ist. Oder wenn du jeden Tag Angst hast, dass die Rakete deine Familie tötet. Die Sanktionen, würden helfen, militärische Hilfe würde helfen und natürlich bin ich sehr dankbar für die Unterstützung, die die Ukraine von der EU bekommt. Das ist finanzielle Unterstützung, humanitärische und so weiter. Das braucht das Land unbedingt, unser Land, die Ukraine. Das hilft, hunderttausende Menschen zu retten, dass sie etwas zu essen haben und dass sie zumindest von Zeit zu Zeit Strom haben können. Für mich wäre es wünschenswert, wenn es mehr Hilfe wäre, weil die Ukraine den größtemöglichste Preis bezahlt: Das ist das Leben unserer Menschen.

Amira El Ahl: Das sagt Emiliia Dieniezhna, Journalistin und Korruptionsexpertin aus der Ukraine. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dieniezhna und danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, bei uns zu sein.

Emiliia Dieniezhna: Vielen, vielen Dank für das Gespräch und für die Einladung.

Amira El Ahl: Sehr, sehr gerne. Damit sind wir am Ende dieser Episode von "Die Kulturmittler". Wenn Ihnen diese Folge gefallen hat, dann empfehlen Sie den Podcast doch gerne weiter. In der nächsten Folge spreche ich mit Aliem Aliv vom Ukraine Institute. Damit Sie diese und alle weiteren Folgen nicht verpassen, können Sie den Podcast abonnieren. Das geht zum Beispiel dort, wo Sie gerade diese Episode gehört haben. Alle bisherigen Folgen von "Die Kulturmittler", die Sonderfolgen zur Ukraine und mehr Informationen über das Institut für Auslandsbeziehungen finden sie auf www.ifa.de. Sollten Sie fragen oder Hinweise zu den "Kulturmittlern" haben, dann schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an podcast(at)ifa.de. Mein Name ist Amira El Ahl. Vielen Dank fürs Zuhören, und bis zum nächsten Mal!

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